Fairtrade – Gut, böse, Marketing-Gag?


Zwei Wochen lang sich nur von Fairtrade-Produkten ernähren – ist das wirklich eine Herausforderung? Immerhin ist das Angebot an Eine-Welt-Läden in Deutschland recht dicht gestreut und in jedem gut sortierten Supermarkt gibt es mittlerweile die Produkte mit dem Fairtrade-Logo.

Christoph Harrach hat einen Blog-Karneval zum Thema Fairtrade ins Leben gerufen. Viele Blogger machen mit: Naturbelastet, Alles-was-Gerecht-ist, Grüne Mode, UnsgehörtdieWelt, Jazzlounge, Slowretail, Myreform, Best-Practice-Business-Blog, Ruhestoerung, A-Lohas, Sebastian Backhaus, Bioemma, Fressnet . Als i-tüpfelchen auf der Aktion will sich Christoph zwei Wochen lang nur von Fairtrade-Produkten ernähren. Der Fairtrade-Man-2008 wetteifert darin dem Fairtrade-Man und der Fairtrade-Woman (siehe auch das FairtradeFood-Blog) nach, die diese Aktionen schon im Frühjahr 2008 durchführten.

Aus nachhaltiger Sicht frage ich mich, ob es nicht eher eine Herausforderung wäre, ein ganzes Jahr ethisch korrekt zu leben, vegan zu essen, nur Fairtrade-Produkte zu kaufen, faire Kleidung zu tragen, alle CO2-Emissionen auf allen Reisen zu kompensieren.

Es sind die kleinen Sünden, die das nachhaltige Leben schwierig machen: die Bockwurst am Imbissstand, das Bier in der Kneipe, der Kaffee bei der Oma – wie will man da sicherstellen, dass dies alles Fairtrade gehandelt ist?

Aus Marketing-Sicht ist die Idee aber sehr interessant. Blog-Karneval plus Nahrungs-Aktion bringen dem Initiator und dem Thema die verdiente Aufmerksamkeit.

Sehr interessant sind auch die Reaktionen in der Blogosphäre, die größtenteils positiv sind, aber auch interessante Ansichten offenbaren.

Klaus Werner-Lobo zum Beispiel schreibt:

Auch wenn das Fairtade-Gütesiegel bessere soziale und arbeitsrechtliche Standards für die ProduzentInnen garantiert, ist es weder sozial noch ökologisch sinnvoll, den Menschen in diesen Ländern ihre Nahrungsmittel wegzunehmen und sie über tausende Kilometer in die reichen Länder zu transportieren. Wegnehmen? Ja, wegnehmen: Denn es ist – trotz Fairtrade und damit im regionalen Vergleich besseren Löhnen – letztendlich die Armut, die zum Export zwingt, was in den meisten Ländern wiederum die Hauptursache für Hunger ist.

Ich teile die Einschätzung nicht, dass fairtrade „wegnehmen“ ist bzw. das jede Art von Handel „wegnehmen“ ist. Wenn ich in Deutschland Wein aus Frankreich kaufe, nehme ich dann den armen Franzosen den Wein zum trinken?

David Ricardo, David Hume oder Adam Smith haben sich schon vor einiger Zeit Gedanken über das Verhältnis von Nationalökonomien und Handel gemacht. Sie haben den Vorzug von Handel deutlich beschrieben, da Länder mit unterschiedlichen Voraussetzungen (z.B. klimatische Gegebenheiten) sich auf die Produkte spezialisieren können, die sie am besten herstellen können. Handel senkt die Preise durch Spezialisierung und ermöglicht Vielfalt. Vom Handel haben dann alle etwas: Konsumenten, Exporteure, Importeure.

Natürlich ist das Argument in der Theorie recht schön, aber in der Praxis nicht so einfach. Da wären zum Beispiel die Kosten, die der Allgemeinheit durch den Transport von Gütern aufgelastet werden, durch die Klimaerwärmung, die nicht im klassischen ökonomischen Modell enthalten sind.

Das klassische ökonomische Modell geht auch davon aus, dass die Herstellungskosten sich nicht ändern, aber es ist klar, dass die Herstellungskosten oft abhängig von den politischen Gegebenheiten vor Ort sind. Die politischen Institutionen in manchen Ländern sind nicht geeignet, um angemessene Arbeitsbedingungen herzustellen, und Gewerkschafter in diesen Ländern haben es schwer, die Interessen von Arbeitern durchzusetzen.

Auch differenziert die klassische Ökonomie nicht zwischen den verschieden Arten von Arbeitern in der Landwirtschaft: von Tagelöhnern zu Großgrundbesitzern. Natürlich sind exportorientierte Landwirtschaften anders strukturiert sind als Subsistenzlandwirtschaften. Ob das Bild vom Reisbauern, der sich und seine Familie von seiner Parzelle ernährt, in der Praxis so stimmt, möchte ich bezweifeln. Die Flucht vom Land in die Stadt in Entwicklungsländern hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Lebensbedingungen auf dem Land gar nicht so ideal sind wie das bei manchen Globalisierungskritikern behauptet wird.

Man kann natürlich auch argumentieren, dass es nicht zuletzt der Konsumdrang in der entwickelten Welt ist, der diese Exportwirtschaften erzeugt. Natürlich sollten sich die Konsumenten mal Gedanken darüber machen, ob sie wirklich das ganze Jahr exotische Früchte benötigen. Aber für viele Menschen gehört das mittlerweile zum Lebensstandard, auch im Winter Erdbeeren zu essen. Wenn man praktische Politik machen will und nicht im Wolkenkukucksheim einen anderen Menschentypus herbeidenkt, muß man die Menschen nun mal da abholen, wo sie herkommen, d.h. man muß ihr Bedürfnis nach einem reichen Nahrungsangebot mit ökologischen und ethischen Kriterien in Einklang bringen.

Bei all diesen Problemen kann fairer Handel ansetzen: er kann die Arbeitsbedingungen vor Ort verbessern, er kann den Erzeugern mehr Einkommen verschaffen, er kann auf ökologische Standards setzen, er kann aber auch über die höheren Preise die Konsumenten für die Folgekosten des Handels sensibilisieren.

Fairtrade kann aber nicht drei grundsätzliche Dilemmata lösen. Die größten Handels-Hemmnisse für Entwicklungsländer sind die Subventionen, welche die entwickelten Länder in ihre Landwirtschaftsindustrien stecken. Die in letzter Zeit stark erhöhten Agrarpreise ermöglichen es vielleicht, diese Subventionen etwas abzubauen, gleichzeitig führen die hohen Agrarpreise zu Armut in vielen Teilen der Welt. Das ist also das erste Dilemma: damit der politische Spielraum für den Abbau von Subventionen entsteht, müssen die Agrar-Preise hoch, aber dann wird ein Teil der Welt bitter verarmen.

Denn das zweite Dilemma ist: wir alle, auch diejenigen, die nur Bio-Produkte kaufen, profitieren von den Landwirtschaftssubventionen. Die Subventionen stärken den ländlichen Raum, finanzieren große Landwirtschaftsindustrien, aber auch kleinteilig organisierte Bio-Bauernhöfe. Ob diese sich alle ohne die Fördergelder der Europäischen Union über Wasser halten könnten, bezweife ich.

Wenn man den radikalen Schnitt machen würde und alle Agrar-Subventionen der reichen Länder streichen würde, dann kommt es zum dritten Dilemma: eine massive Verlagerung der Nahrungsmittelproduktion in die Entwicklungsländer, die wiederum über die beim Transport entstehenden Klimagase den Klimawandel beschleunigen würde.

Subventionsabbau ist nicht für umsonst zu haben, er führt zur Armut, zu einem geringen Angebot von heimischen Bio-Produkten und zur Verstärkung des Klimawandels. Der Ausweg kann nur sein, dass über das fairtrade-Logo die Verbraucher für diese Zusammenhänge zu sensibilisiert. Aber Handel, mit all seinen positiven und negativen Folgen, wird es nach wie vor geben, denn es ist langfristig die einzige Möglichkeit, um Armut dauerhaft zu bekämpfen.

PS Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang ist der schon etwas ältere Blogeintrag: Who is the Ethical Consumer?

6 thoughts on “Fairtrade – Gut, böse, Marketing-Gag?

  1. der unterschied zwischen französischem wein und landwirtschaftsgütern aus ärmeren ländern ist, dass in zweiteren fast alle anbauflächen für den export bestimmt sind. die ursache liegt nicht im mangel, sondern in der ungerechten verteilung von grundbesitz. hunger herrscht v.a. in ländern mit hoher landwirtschaftlicher produktion, aber hoher exportrate. deshalb kann man tatsächlich von „wegnehmen“ sprechen.

  2. Stimmt, aber das ist doch gerade, wo fairtrade ansetzt, oder nicht? Kleinbauern die Möglichkeit geben, sich in Genossenschaften zusammenzuschließen und damit direkt die Endverbraucher zu erreichen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass ein kompletter Handelsboykott irgendjemanden hilft.

  3. @klaus: du hast ziemlich viel recht! Ich bin grad dabei mal eine Übersicht anzufertigen, was wirklich ökologisch sinnvoller Konsum ist. Was soll man beachten: Region, Verarbeitung, Soziale Arbeitsbedingungen? Was muss mehr gewichtet werden?

    Außerdem finde ich es auch viel besser im Sinne der Fairen Woche nicht nur auf Fair Trade zu achten, sondern grade auch auf Bio. Das ist nämlich zum Großteil aus der Region.

    Zum Glück gibt es hier in Berlin massen an Bio-Läden, weswegen ich gar nicht auf so 2-Wochen Experimente umsteigen muss, sondern konsequent im Bio-Laden (oder Bio-Supermarkt) einkaufen gehe.

  4. Fairer Handel ist laut Einschätzung der Macher ein durch und durch parteiisches System. Zunächst geht es um das Wohl der Schwächsten, der Anbauer, die für ihre Ware besser bezahlt werden sollen. Um Umweltschutz und Bio geht es erst danach. Bei Lebensmitteln und Rohstoffen wie Tee, Kaffee und Bananen kann ich das noch ein Stück mittragen, bei Baumwolle schon nicht mehr. Konventionelle Baumwolle – gepäppelt mit Düngern und Pestiziden – ist eine immense Belastung für Land und Leute. Die Bauern ruinieren ihre Gesundheit – bei allem Respekt, da nützt ihnen die bessere Bezahlung auch nichts.
    Bei Baumwolle muss der faire Handel sich stärker bemühen, zweigleisig zu fahren und darauf zu achten, dass die Baumwolle doppelt gut ist: also bio und fair.
    Bisher sind nur 20 Prozent der fair gehandelten Baumwolle auch biologisch angebaut. Transfair weiß das sehr genau. Bei Lebensmitteln sind sie inzwischen bei 75 Prozent, die fair und bio sind. Geht doch!

  5. @ Kirsten: geht doch, ja, aber es dauert! Und weil alle Welt nur nach Biobaumwolle fragt, bleibt derjenige, der in Indien Bauern hift auf fair und bio umzusteigen auf der Baumwolle in Umstellung sitzen. Die Bauern haben zwar schon eine geringere Ernte, weil sie ja auf Chemie verzichten, das Label gibt es aber erst in 4 Jahren und kein Mensch ist bereit, ihnen ihre Umstellungsernte zu mehr als dem üblichen Welthandelspreis abzunehmen. Transfair finanziert das sicher nicht vor, genausowenig wie die Gebühren der Zertifizierung (für Transfair, Bio, Bioknospe Schweiz und was immer wir als Konsumenten noch gerne für bunte Bildchen sehen wollen). Und wieder wälzen wir das Risiko einseitig auf die Schwächsten ab!
    Die Umstellung auf Bio kann nicht über Nacht geschehen: man muss die Bauern schulen, sie u.U. zwischenfinanzieren oder ihnen Abnahmegarantien auch für die Umstellungsernten geben, sie auf diesem Weg beraten, das braucht Zeit, Geduld und Geld!
    Die Umstellung hat bei Obst und Gemüse Jahre gedauert und diese Zeit muss man den Bauern, Transfair und den Händlern bei der Baumwolle auch geben (und sie als Käufer auf dem Weg dorthin unterstützen).

  6. @ meermaedchen: Solch eine Übersicht wird ganz schön komplex, wenn man dann noch hineinrechnet, dass die heimischen Tomaten vielleicht aus dem Gewächshaus stammen und mit Erdöl beheizt wurden, während die kenianischen unter freiem Himmel wuchsen und „nur hergeflogen“ sind. Also bitte mit hineinnehmen,wann man die Produkte kauft, im Sommer die heimischen, im Winter die aus Kenia…. Und dann stehe ich da Ende oktober und überlege, ob das nun noch Sommer oder schon Winter ist 😉
    Kasi hat es in seinem Beitrag ja ganz gut gezeigt, es ist nichts schwarz/weiss, es gibt durchaus nicht aufzulösende Dilemmata und da stecken wir als Kunden mittendrin! Deshalb beurteile ich das auch nicht mehr so schematisch und kaufe den Honig aus der Region vom Imker und den aus fairem Handel aus Mexiko, nur den aus dem Supermarkt, den ohne Label und für 1.20 €, den kaufe ich nicht mehr.

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