Hand aufs Herz: Wer wurde durch die kritische Berichterstattung über den WWF wirklich auf dem falschen Fuß erwischt (für den Offline-Leser siehe zudem DER SPIEGEL 22/26.05.2012)? Und wer hat sie nur mäßig erschüttert zur Kenntnis genommen? Jenseits dessen, ob jeder der Kritikpunkte am WWF berechtigt ist (was wohl nicht zutrifft), zeigt der Fall, dass auch NGOs schnell in die öffentliche Kritik geraten können. Während sich der WWF in geschliffenem PR-Deutsch an Detailfragen abarbeitet, gerät der Kern der Kritik aus dem Blickfeld. Denn dieser geht tiefer. Es geht um die Nähe zur Wirtschaft, es geht um das Geschäftsmodell des WWF im Allgemeinen, es geht darum, dass die öffentliche Meinung an Gemeinnützigkeit hohe Erwartungen stellt. Darauf gibt der WWF zwar Antworten, diese sind jedoch wenig befriedigend. Traditionell pflegt der WWF deutlich engere Beziehungen zu Unternehmen als andere NGOs – sei es Greenpeace, der BUND oder Foodwatch. Als Folge dessen bauen unternehmenskritische Stakeholder einen mitunter moralisierenden Rechtfertigungsdruck auf. Wer diesem Druck sowohl kommunikativ als auch inhaltlich nicht gewachsen ist, steht schnell im Abseits. Und muss sich die Frage gefallen lassen, ob die eigene Aufstellung grundsätzlich überdacht werden sollte.
Was tun? Eine klare Grenze zwischen Unternehmen und NGOs ziehen? Ein „Wir sind hier, und das ist nicht auf eurer Seite“? Ja und Nein. Richtig, eine kritische Begleitung von Unternehmen erfordert Unabhängigkeit, eine Abgrenzung vom ökonomischen Paradigma. Das ist der gesellschaftliche Auftrag einer NGO – ein Gegengewicht zu bilden zur unternehmerischen oder politischen Logik. Auf der anderen Seite ist jedoch Dialog notwendig. Denn nur wenn beide Seiten miteinander sprechen, können Ressourcen gebündelt, Argumente ausgetauscht und neue Ideen entwickelt werden. Oder auch Kooperationen entstehen. Die meistens vielversprechender sind als konfrontative Empörungskampagnen.
Denn Kooperationen zwischen NGOs und Unternehmen bieten enormes gesellschaftliches Potenzial. Es kommt nur darauf an, wie sie ausgestaltet sind. Gerade bei der Entwicklung von Nachhaltigkeits-Standards ist der Dialog mit der Wirtschaft dringend erforderlich: Will man praxiskompatible Richtlinien entwerfen, braucht man die Wirtschaft. Gibt es keine gesetzliche Handhabe für diese Richtlinien, braucht man die Wirtschaft, damit sie diese freiwillig umsetzt. Dies bedeutet für NGOs zweierlei. Zum einen bedeutet es Kompromissbereitschaft – verbunden mit klaren Mindestanforderungen, die deutlich über denen liegen, die die wirtschaftliche Logik gebietet. Eine inhaltliche und vor allem strukturelle Distanz zur Wirtschaft muss dabei aufrecht erhalten werden – denn es geht um Reputation, DAS wichtigste Kapital von NGOs. Zum anderen bedeuten derartige Kooperationen Einflussmöglichkeiten jenseits der natürlichen Grenzen einer NGO. Aus dieser Macht erwächst Verantwortung – einschließlich der Notwendigkeit, sich kritisch mit der eigenen Arbeit auseinanderzusetzen. NGOs sind häufig inhaltlich und personell eng aufgestellt, so dass sie bei komplexen Sachverhalten schnell an Grenzen stoßen. Welche Interdependenzen bestehen zur Lebens- und Arbeitswelt der lokalen Bevölkerung? Gibt es lokale Konfliktlinien, die durch die eigene Arbeit verschärft werden? Welche Anreizsysteme werden durch bestimmte Richtlinien beispielsweise in Anrainerstaaten geschaffen? Gerade bei größeren NGOs besteht die Gefahr einer gewissen Selbstüberschätzung, die dazu führt, dass lokale Randbedingungen oder andere NGOs für die „große Sache“ außer Acht gelassen werden – siehe WWF (siehe aber auch Kampagnen wie KONY 2012). Dadurch erhöhen sich nicht nur die Risiken für die eigenen Projekte, sondern auch die Distanz zu denjenigen, für die man gemeinnützig tätig ist. Wer dann auf Kritik mit juristischen Schritten und dreimal gewendeten PR-Statements reagiert, wirkt kühl-mechanistisch und verstärkt die Krise. Dies kann die Reputation dauerhaft schädigen. Und bedeutet zugleich akute Ansteckungsgefahr für andere NGOs und das Modell der Gemeinnützigkeit im Ganzen.
Ich finde, je mehr informeller Kontakte es zwischen einer NGO und Unternehmen gibt, desto mehr muss die NGO sich öffnen gegenüber den Medien. Dazu gehört, dass weitaus mehr als die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Im Grunde genommen muss die NGO versuchen, fast jeden der informellen Kontakte transparent zu machen, d.h. über Treffen mit Industrieverbänden berichten, Strategien öffentlich diskutieren und vieles mehr. Aber das fällt nicht nur Unternehmen sehr schwer, auch NGOs tun sich da kein leichtes mit. Gerade weil die Ressourcen viel weniger vorhanden sind.
Und natürlich darf keine NGO das machen: Parodien verklagen: http://www.wired.com/dangerroom/2012/06/kony-2012-lawsuit/ Die Kopie ist die beste Form des Kompliments.
Grundsätzlich würde ich dir zustimmen, aber wie du richtig sagst: Zu leisten wäre das nicht. Gerade die NGOs müssten a) darüber berichten und b) sich daraufhin erklären. Letzteres wäre mehr oder minder dialogisch, was zeitlich nicht zu leisten ist, da man sich ja noch um Fundraising und das „Kerngeschäft“ kümmern muss. Große und kleine Öffentlichkeitskrisen wären dann an der Tagesordnung. Außerdem ist aus meiner Sicht der Transparenzgedanke nicht wirklich bei NGOs angekommen – weil sie sich innerlich auf die Gemeinnützigkeit berufen. Deswegen ist das Thema Governance oder Reporting auch noch unterentwickelt.
Ich finde auch, dass NGOs für sich – je professioneller sie in ihrer (Kampagnen-)Arbeit werden – Stück für Stück dieselben Maßstäbe anerkennen müssen, wie sie für Unternehmen schon heute eingefordert werden. Aber bis zur openNGO ists noch ein weiter, steiniger Weg…